Julia-Huda Nahas

Autorin

Julia-Huda Nahas arbeitet aktuell als freischaffende Regisseurin, Autorin und Kulturpädagogin mit einem Schwerpunkt auf kollaborativen Schreibansätzen und antirassistischen Narrativen.

Skizzen

Oberhausen erfahren … ein künstlerischer Dialog mit der Stadt

Als Stadtbotschafterin war ich im Oktober für den ersten Teil meiner Residenz in Oberhausen und kann jetzt schon sagen: Ich freue mich auf den zweiten Teil zum Ende der Spielzeit. Als Theatermensch kannte ich Oberhausen vor allem durch das Theater. Als Stadtbotschafterin hatte ich Zeit und Raum, um mich dieser Stadt auf eine neue und erfrischend unbefangene Art zu nähern. Dies habe ich vor allem zu Fuß gemacht. Ausgehend vom Theater habe ich mir die Stadt jeden Tag ein wenig mehr erschlossen. Mein einziges Ziel dabei: Mit offenen Sinnen die Stadt erkunden. Immer offen für Dinge, Menschen oder Eindrücke, die in irgendeiner Weise mit mir resoniert haben. Besonders interessiert hat mich dabei alles, was irgendwie die Kontraste einer Stadtgesellschaft spiegelt. Hoffnung und Ohnmacht, Sein und Schein – die Residenz in Oberhausen konnte ich nutzen, um seit längerem mal wieder als Einzelkünstlerin tätig zu sein und über das aktive Aushalten von Dissonanzen in der Gesellschaft nachzudenken. Dabei sind mehrere Kurztexte entstanden, die ich zum Ende meiner Oberhausenzeit bei einer Lesung vorstellen konnte. Besonders gefallen hat mir dabei, der Austausch mit dem Oberhausener Publikum und ich freue mich darauf diesen Dialog im nächsten Jahr fortzuführen.

Ich komme dich in Oberhausen besuchen …

Bin ich noch Teil deiner Welt?
Hier. Nicht dort.
Dort.
Wo ich mal war.
Jemals existierte?

Ich kenne den Weg, den du siehst.
Mein Blick.
Aus der Richtung.
Der anderen.

Dabei blicken wir auf dieselbe Straße.
Oder doch nicht?

Oder ist es das Ziel? Das es wert ist.
Nicht?

Wege sind anscheinend eine hoch subjektive Angelegenheit. Lang oder kurz, leicht oder schwer, düster und ungewiss oder so klar wie ein frischer Sommermorgen. Dabei führen nicht alle Wege nach Rom und selbst gewiefte Stadtplanerinnen haben Schwierigkeiten das ein oder andere Nadelöhr zu finden, wenn der Haufen mal wieder Heuschnupfen verursacht.
Ich werde von Menschen an die witzigsten Orte interpretiert. Mal nach Dortmund, häufig nach Köln und wenn das, was ich mache allzu innovativ daherkommt, dann lebe ich ganz sicher in Berlin.
Das ist jetzt übrigens kein Text zum Thema „Wo kommst du denn her?“ Wirklich. Nicht. Denn hier spielen andere Faktoren eine Rolle. Dabei frage ich mich manchmal, was zuerst da war. Der Ort oder die Haltung? In jedem Fall die Erwartung. An die Haltung. Und die Sprache. Sowieso.
Dabei wissen die wenigsten, wo ich wohne. Und von denen, die es wissen, haben die meisten keinen blassen Schimmer. Das ist auch gar nicht so schlimm … meistens. Denn ich fahre gerne hinaus. Aus dem Vorort. Diesem Zwischenraum der mich irgendwie nicht loslassen will. Dazu stehen mir verschiedenste Wege zur Verfügung. Allen anderen übrigens auch.
Köln und Kaarst trennen z.B. ca. 45km. Von Kaarst nach Oberhausen muss ich ungefähr 55km zurücklegen. Und (jetzt wird es interessant) die Strecke Köln – Oberhausen misst je nachdem zwischen 75 und 80 km. Vorausgesetzt man fährt mit dem Auto. Das ÖPNV Abenteuer erspare ich uns jetzt mal – ich mag Anekdoten mit Herausforderung. Der Witz an der Sache ist auch eigentlich ein anderer. Denn ab dem Moment, an dem ich meine Zeit hier in Oberhausen angekündigt habe, häuften sich Aussagen à la „wie lange bist du da, vielleicht treffen wir uns ja mal?“ oder „ach wie cool, ich komm dich dann besuchen!“ Nett, oder? Hab’ ich mir auch gedacht. Dicht gefolgt von: „Ist Oberhausen wirklich so viel näher an Köln als Kaarst?“
Ich verbringe beruflich und privat relativ viel Zeit in Köln. Der Punkt ist aber eigentlich, dass ICH sehr viel Zeit IN KÖLN verbringe. Köln kommt so gut wie nie zu mir. Also Köln geht natürlich nirgendwo hin. Versteht sich von selbst. Was ich meine: In den allerseltensten Fällen kommen Menschen z.B. aus Köln zu mir. Nach Kaarst. Als ob sich mit meinem (Rück)Zug in diese Stadt eine unsichtbare Mauer um mich geschlossen hat. Ein logistisches Loch, unbezwingbar, unüberwindbar. Als ob ich verschwinde, sobald ich die Grenzen dieser Vorortwelt übertrete. Irgendwo zwischen Kirmesplatz und Ikea höre ich auf zu existieren. In diesem Raum dazwischen. Da – verliert sich meine Spur, nur um plötzlich wieder aufzutauchen, sobald ich den Orbit verlasse und – z.B. in Oberhausen auftauche.
Wie funktioniert das eigentlich? Gibt es ein Ortungssystem, dass ich nicht kenne? Ein unsichtbarer Radar, der dafür sorgt, ob Menschen mit auf dem Schirm haben – oder nicht. Blink blink. Nichts. Blink blink. Nichts. Blink blink. Nicht. Aber wenn ich z.B. in Oberhausen auftauche. Dann bin ich da. Sichtbar. Im Blick. Feld. Aber dafür muss ich mich bewegen. Um zu existieren.

Existenz berechtigt.
Aber was ist die Richtige?
Existenz?
Die mich berechtigt.

Next exit: Stadtmitte.
Existiert eigentlich eine Stadt ohne Mitte?

Und was macht das mit mir?
Wenn ich diese Mitte nicht finde?
Höre ich dann auf zu existieren?
War ich jemals da?

Und wenn nicht …
… wer kommt mich dann besuchen?